HomeIngeborg Bachmann ForumArtikel & Essays Impressum 
Index:Navigationshilfe [Frankfurter Allgemeine Zeitung]Navigationshilfe [Süddeutsche Zeitung]
Pressespiegel
Zeichenerklärung:NavigationshilfeNavigationshilfeForum-Link Forum-Seite(n)Externer LinkExterner Link


   
FAZ   Höllenfahrt
20. April 2005   Eine neue Archivphantasie
   
   

[...] Die Phantasien, die das Wort "Archiv" heute bei vielen Geisteswissenschaftlern weckt, haben weniger mit den existierenden Archiven zu tun als mit den Theorien über das Archiv, die zur philosophischen Hinterlassenschaft von Michel Foucault und Jacques Derrida gehören. [...] Was findet den Weg ins Archiv, und was wird daraus ausgeschlossen, um vielleicht in "andere" Archive zu wandern, die nicht so leicht aufzufinden sind?
Solche Archivphantasien an konkreten Funden zu verdeutlichen ist das Verdienst des jüngsten Heftes der Zeitschrift des Berliner Instituts für Literaturforschung (Trajekte, Heft 10, 5. Jg., April 2005). Bewußt als Enthüllungen werden einzelne Briefe erstmals veröffentlicht und kommentiert, die unbekannte Episoden der Biographie ihrer Absender oder Adressaten beleuchten. Jacob Taubes schreibt an einen befreundeten Rabbiner in Jerusalem über die psychische Erkrankung einer Bekannten und verwebt damit das Geständnis einer Liebesbeziehung zu Ingeborg Bachmann. Es ist ein Brief, der wegen seines extrem persönlichen Charakters, vielleicht wegen der Mischung von erotischer und religiöser Sprache in normalen Archiven sekretiert würde.
Sigrid Weigel, die diesen Brief eindrucksvoll kommentiert, hat eine Biographie über Ingeborg Bachmann geschrieben, bei deren Abfassung ihr die langjährige Beziehung zwischen dem Berliner Philosophieprofessor und Ingeborg Bachmann unbekannt war. Sie lernten sich zwischen April 1963 und Ende 1965 kennen, als sich Ingeborg Bachmann mit Unterbrechungen in Berlin aufhielt. In dieser Zeit machten sie gelegentlich Spaziergänge in Dahlem, und Ingeborg Bachmann besuchte auch das eine oder andere der religionsgeschichtlichen Seminare von Taubes, die er zusammen mit dem Mandäerspezialisten Macuch oder dem evangelischen Theologen Ulrich Wilckens, dem späteren Bischof, bestritt.
Der Brief von Taubes stammt aus dem Jahr 1981, sieben Jahre nach ihrem und sechs Jahre vor seinem Tod. Vielleicht handelt es sich, ungewöhnlich genug, um die einzige Stelle, an der er über seine Liason mit Ingeborg Bachmann berichtet hat. Sie ist, in ihrer gedrängten Kürze, von einer solchen Emphase, daß man in dem Brief eine erste und letzte Mitteilung sehen möchte, die Überlieferung einer Geschichte, die sonst nirgends Niederschlag gefunden hat: "Ich war in einer Liasion mit der kraftvollsten deutschen Dichterin unserer Generation, und wir gingen zur Hölle hinab und zum Himmel hinauf in Berlin, Klagenfurt, in Prag und drei Monate in Rom", heißt es in dem englisch geschriebenen Brief.
Dieser einzige Brief fügt aber nichtnur dem Bild Ingeborg Bachmanns neue Züge hinzu, auch Jacob Taubes, der unendlich viele Menschen kannte, wird plötzlich auch als Briefschreiber interessant. [...]

  Henning Ritter [1]
     
SZ     Archive und Affären
14. April 2005     Zettelwirtschaft in Himmel und Hölle: Der Staub ist Dynamit
     
     

[...] Eines fällt an der Broschüre sogleich auf: ihr Interesse an Archivalien und noch nicht in Archiv eingegangenen Hinterlassenschaften aus Privatbesitz steht in deutlicher Spannung zu der berühmten These des Gewährsmannes Foucault vom "Verschwinden des Autors". [...]
Gleich der erste Brief, aus dem Nachlass des Philosophen und Judaisten Jacob Taubes (1923-1987) gezogen, demonstriert das eindrucksvoll. Taubes hat ihn im Jahr 1981 an den befreundeten Talmudgelehrten und Rabbiner Aharon Agus (1943-2002) in Jerusalem adressiert, handschriftlich und in einem Englisch verfasst, das immer wieder von hebräischen Schriftzeichen und Zitaten durchsetzt ist. Der Brief handelt nicht nur von einer letzten Geliebten des Verfassers in Jerusalem, deren Name aus Gründen des Personenschutzes nur mit dem Anfangsbuchstaben wiedergegeben ist, er bestätigt zugleich ein Gerücht der Berliner "chronique scandaleuse", demzufolge Taubes eine längere Affäre mit der Schriftstellerin Ingeborg Bachmann hatte. "I was in a liaison with the most powerful German poetress of our generation and we went down to hells and up to heavens in Berlin, in Klagenfurt in Prga and three months in Rome."
Der Nachlass von Ingeborg Bachmann in der Handschriftenabteilung der Wiener Nationalbibliothek ist durch ihre Erben zum großen Teilen, darunter die private Korrespondenz, gesperrt. Die biographische Rekonstruktion der Liaison wird noch auf Jahrzehnte im Nachlass der Dichterin nicht auf Funde hoffen dürfen. [...]

      Lothar Müller [2]

Information zu dieser Seite: Zeichenerklärung:NavigationshilfeNavigationshilfeForum-LinkForum-Seite(n)Externer LinkExterner Link
 
[1] © FAZ, Nr. 91/Seite N3 vom 20.04.2005
[2] © Süddeutsche Zeitung, Nr. 85/Seite 16 vom 14.04.2005
    © Ricarda Berg, erstellt: April 2005, letzte Änderung: 15.01.2024
http://www.ingeborg-bachmann-forum.de - E-Mail: Ricarda Berg