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14. Mai 1960 |
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Dichter auf
dem Lehrstuhl |
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Luise
Kaschnitz begann ihre Vorlesungen / Der "Fall" Ingeborg Bachmann
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[...] Gerade
die Vorträge von Ingeborg Bachmann haben gezeigt, wie leicht dieses
kühne Unternehmen, Dichter zu Vorlesungen in die Universität zu
rufen, mißverstanden werden kann. Und gerade von den Studenten, an
die sich sich richten. Der Unmut der Studenten Frau Bachmann gegenüber
schien daraus zu entspringen, daß diese Vorträge kaum Notierbares,
Erlernbares, Fertiges vermittelten. Verwertbares eventuell für das
Examen. Das mag dadurch befördert worden sein, daß es der Germanistik
eben an der zureichenden Zahl von Lehrern mangelt und daß der Dichter
als Lehrersatz fungieren sollte. So gab es unerfreuliche Auftritte, vor
allem in den Seminaren mit Frau Bachmann, die für sich eine ungeheure
Mutprobe bestand, indem sie sich einem Auditorium von sechshundert fremden
und höchst selbstbewußt auftretenden Studenten aussetzte und
sich in deren aggressiven Fragen so betroffen und verletzt, auch so wenig
verstanden fand, daß sie sich ins Schweigen zurückzog, so daß
es kein Gespräch mehr gab. Dabei hatte sie - wenn diese Stiftungsdozentur
überhaupt Sinn haben soll - gerade das getan, was diese verdienstvolle
Einrichtung rechtfertigen konnte: Zeugnis abgelegt von ihrer dichterischen
Existenz, vom Dichten aus Schuld und innerer Not. [...]
Die Vorträge Frau Bachmanns zeigten, wie fremd und unverständlich
diese feuilletonistischen und sogar wissenschaftlichen Fragestellungen der
Universitätsseminare der dichterischen Existenz gegenüber stehen.
Darum ihr Protest in der letzten Stunde gegen die überheblichkeit dieser
Wissenschaft, dieses Besserverstehenwollens als der Dichter sich selbst
versteht; darum das dauernde Fragen in ihren Vorträgen, das Setzen
von Fragezeichen, das durcheinanderging mit aggressiv formulierten und nur
wieder zögernd vorgetragenen Ausrufen. Ungewiß machen, was hier
als Gewißheit ausgegeben und mit nach Hause genommen wird; Widerspruch,
Protest, so trat in Frau Bachmanns Vorträgen etwas Fremdes in den Hörsaal.
Obwohl sich alle Versammelten mit dem gleichen Gegenstand beschäftigten:
der Dichtung, kam kein Gespräch zustande. Sie gab Kunde durch Fragen,
aber man erwartete Antworten. |
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Günther
Rühle |
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13.
März 1961 |
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Dichter
in der Universität |
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Zu
dem Versuch einer Gastdozentur für Poetik |
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[...]
Es wäre also eine falsche Erwartung, daß die Lesungen der Dichter
vor allem Handfertiges über gegenwärtige Literatur oder gar, wie man
mißverstanden hat, Anweisungen zum Machen von literarischen Gebilden
geben. Zwar wird heute wieder viel vom barocken "fabbriccare"
gesprochen, aber auf diesem Hintergrund ist der Frankfurter Versuch nicht
entstanden. Sowohl Frau Bachmann wie Karl Krolow haben die Erwartung darauf
gründlich zerstört. [...] Gerade die Reaktion der Studenten auf
die Vorträge von Frau Bachmann hat gezeigt, daß die Studenten eine
andere Einstellung zu der Dozentur finden müssen, wenn sie für
sie Gewinn haben soll: Gewinn an Erkenntnis, nicht an Wissen. Das Interesse
hätte sich mehr auf das Wie (statt auf das Was) zu verlagern (Wie nähert
sich der Autor seinem Stoff, wie befragt er ein Gedicht und wie der Wissenschaftler,
wie verhält er sich zur überlieferung, zum zeitgenössichen Text,
wie stellt er sich selbst dar, und was erklärt das für die Erkenntnis
seiner dichterischen Gebilde?). Dieses Fragen setzt nicht Aufnehmen, sondern
Arbeiten voraus. [...]
Gerade der Vortrag von Frau Bachmann hat gezeigt, wie fremd der Dichter
der Universität geworden ist, wie bedenkenswert die Fragen sind, die er
stellt. Darum bringt man in Frankfurt Frau Bachmanns Vorlesungen nachträglich
ein immer stärkeres Interesse entgegen; [...]. |
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Günther
Rühle |