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Leseprobe...
Heinz Bachmann

Ingeborg Bachmann,
meine Schwester

Erinnerungen und Bilder
  Anfang Oktober [1959, RB] kehrte ich mit einem Flug über Zürich zurück, um mich mit Ingeborg zu treffen.
Ich bliebt zumindest zwei Tage im Haus zum Langenbaum in Uetikon, in dem Ingeborg und Max Frisch eine Wohnung gemietet hatten. Für meine Schwester und ihn war das die erste gemeinsame Wohnung. Ingeborg zeigte mir auch ihre Stadtwohnung im Zentrum Zürichs, wo sie ungestört schreiben konnte. Dort prangte der schöne Kärtnert Bauernkasten, den ihr unser Vater geschenkt hatte. Es war schon immer ihr Wunsch gewesen, den bemalten Bauernkasten aus Vaters elterlichem Haus zu besitzen, sie hatte ihn restaurieren lassen, und er war das Prachtstück all ihrer Wohnungen.
Wir verbrachten einen angenehmen Abend und gingen zu dritt in einem Restaurant in Seenähe essen. Ich musste ihnen viel von meinen Erfahrugen in Israel erzählen. Bei dieser Gelegenheit habe ich Max Frisch über seinen Roman Stiller befragt, der fünf Jahre zuvor erschienen war: "Ist die weibliche Hauptfigur in diesem Roman die Geschichte Ihrer Frau?" Seine Antwort war lakonisch: "Das ist sie, und das ist sie nicht." Ingeborg war dabei, als wir sprachen, aber sie reagierte nicht. Mir gefiehl seine Antwort nicht, aber vielleicht schätzt man intuitiv solche unglücklichen Konstellationen besser ein als die Beteiligten, vor allem wenn man sich um das Wohlergehen seiner geliebten Schwester sorgt und mir ihr eine besondere Bindung hat.
Vielleicht war meine Schwester zu diesem Zeitpunkt auch sehr abgelenkt durch die Vorbereitungen für die Frankfurter Vorlesungen, die ihre völlige Konzentration beanspruchten. nach den ersten Vorlesungen im November und Dezember 1959 besuchte uns Ingeborg in Klagenfurt und erzählte uns von ihrer Verzweiflung über die Erwartungen der Studenten. Viele konnten mit ihren theoretischen Überlegungen und grundlegenden Fragen, die Ingeborg wichtig waren, nichts anfangen. Sie war sehr erleichtert, als dieses Wintersemester vorbei war.

Im Frühlung 1960 kamen Ingeborg und Max Frisch uns in Klagenfurt besuchen. Sie fuhren mit einem kleinen Fiat Sportwagen vor. Unsere Mutter bereitete ein gutes Mittagessen mit Wiener Schnitzel zu, und unser Vater hielt eine schöne Rede, um Max Frisch "willkommen zu heißen", und sagte das ohne Pathos. Für mich war es eine Überraschung, wie gut mein Vater reden konnte, denn ich hatte ihn noch nie bei einer Ansprache erlebt. Ingeborg und Max Frisch übernachteten nicht im Haus, denn es war ja nicht genug Platz. Vermutlich übernachteten sie im kleinen Hotel Musil, wo meine Schwester gerne blieb. Wir hatten vor, am nächsten Tag nach Kötschach im Gailtal zu fahren, um Isolde und ihre Familie zu besuchen.

Die Fahrt dorthin ist mir in deutlicher Erinnerung geblieben. Ich durfte im Sportwagen mit Max Frisch am Steuer mitfahren, Ingeborg chauffierte den weißen VW unseres Vaters, der deswegen sehr nervös war. Wir nahmen in Klagenfurt die Villacher Straße in Richtung Westen. An einer engen Stelle setzte Max Frisch zum Überholen an, als uns ein Auto entgegenkam. Mir standen die Haare zu Berge. Obwohl ich mich selbst für einen forschen Fahrer hielt, schien mir das Manöver sehr riskant. Ich hatte das Gefühl, er wollte mich beeindrucken, erreichte aber eher das Gegenteil.
Nach dem Besuch bei Isolde und Franz, ihrem Ehemann, fuhren Ingeborg und Max Frisch von Kötschach aus über den nahe gelegenen Plöckenpass in Richtung Italien weiter. Gleich bei der Ortsausfahrt gab es eine "Szene", verriet mir meine Schwester Jahre später. Max Frisch schien die Herzlichkeit der Familie zu stören, und seine Eifersucht manifestierte sich: "Die lieben dich ja!", sagte er, und Ingeborg empfand das völlig unverständlich und traurig.

Was sagt ein Bruder zu den Freundschaften seiner Schwester? Es ist schwer zu erklären, was eine Frau an einem Mann interessieren könnte. Meine Gefühle waren zu dieser Zeit gemischt. Ich fand den Freund meiner Schwester in seiner Art etwas "belehrend", aber ich war ja auch noch sehr jung. Sicherlich war Max Frisch keine vor Witz und Charme sprühende Person. Meine Schwester dagegen stand oft im Mittelpunkt, war immer bereit, amüsante Anekdoten zu erzählen. Wir alle hörten ihr gerne zu, ihre Erzählungen waren immer ein Erlebnis für mich.   [1]


PDF Weitere Leseprobe: Kapitel "ROM 1973"; S. 1 - 13 [© Piper Verlag]
 
Ingeborg Bachmann, meine Schwester
Piper Verlag
München 2023
128 Seiten, Hardcover
ISBN 978-3-492-07250-2
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

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[1] Aus dem Kapitel: "Meine Schwester die Dichterin", in: Heinz Bachmann: "Ingeborg Bachmann, meine Schwester".
  Erinnerungen und Bilder. Piper Verlag, München 2023, S. 64 - 67.
  Ich danke besonders Heinz Bachmann und dem © Piper Verlag, München für die freundliche Genehmigung zur Publikation.
    © Ricarda Berg, erstellt: März 2024, letzte Änderung: 03.04.2024
http://www.ingeborg-bachmann-forum.de - E-Mail: Ricarda Berg