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Pressespiegel
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08. September 2013   Die vielen Gesichter der Ingeborg Bachmann
    Neue Biographie der Dichterin
 
  [...] Die 1926 in Klagenfurt geborene Dichterin wurde zum jungen Star am deutschsprachigen Autorenhimmel, als sie 1954 mit ihrem ersten Gedichtband „Die gestundete Zeit“ einen Gegenentwurf zur vornehmlich realistischen Nachkriegsliteratur bot. Vor diesem Hintergrund mutet Ingeborg Bachmanns Wille zur Selbstinszenierung aus heutiger Sicht fast befremdlich an. „Hatte sie das nötig?“, so fragt man sich rückblickend und übersieht dabei womöglich, dass gerade das Maskenspiel der Schriftstellerin die Möglichkeit bot, die Kontrolle über das eigene Bild in der Öffentlichkeit zu behalten.
Viele störten sich an ihrem „Divengehabe“, das Zeitzeugen immer wieder ins Spiel bringen, wenn von Ingeborg Bachmann die Rede ist, und übersahen, dass es in dieser Generation für die Existenz einer erfolgreich schreibenden Frau fast keine Vorbilder gab. Ingeborg Bachmann hatte niemanden, an dem sie sich orientieren konnte - auch nicht an Freundinnen wie der fast gleichaltrigen Ilse Aichinger oder der älteren Marie Luise Kaschnitz, die alle in gesicherten familiären Beziehungen lebten. Der femme de lettres Ingeborg Bachmann dagegen, die in Wien bei Victor Kraft über Heidegger promoviert worden war und die mit den Philosophen ihrer Zeit korrespondierte, blieb dieser familiäre Rückhalt versagt. Auch deshalb glaubte sie, dem eigenen schriftstellerischen Auftrag „schutzlos ausgeliefert zu sein“. Vierzig Jahre nach dem frühen Tod Ingeborg Bachmanns entwirft nun Andrea Stoll in ihrer Biographie „Der dunkle Glanz der Freiheit“ [...] ein anderes Bild der Autorin. Das war nur möglich, weil die Germanistin, die über Ingeborg Bachmann promoviert worden ist, einen Zugang zur Familie der Klagenfurter Dichterin gefunden hat.[...]
Dass Andrea Stoll (...) im Brotberuf Drehbuchautorin ist, also geübt darin, Geschichten spannend zu erzählen, gerät ihr nicht zum Nachteil.
Für dieses Buch hat sie ein ambitioniertes Darstellungsverfahren gewählt, das sie selbst im Vorwort vielstimmiges biographisches Erzählen nennt - geboren aus der Not, einfach weil es so viele verschiedene Beschreibungen der Dichterin durch ihre Umwelt gibt, die sich vielfach widersprechen. Vielleicht kommt man auf diese Weise der Dichterin tatsächlich am nächsten. Schließlich hat sie zu der Verwirrung beigetragen, indem sie etwa peinlichst darum bemüht war, ihre Freundeskreise voneinander zu trennen. Statt die Widersprüchlichkeit nun als Manko zu nehmen, arbeitet Stoll die Gegensätze heraus. Durch die Polyphonie der Stimmen, vielfach belegt durch private Korrespondenz, tritt eine komplexe Identität zutage: Wir begegnen einer selbständigen Frau, die ihre Rolle als Dichterin mit Eleganz und Grandezza ausfüllt, ebenso wie einem Menschen, dem das Martyrium ins Gesicht geschrieben steht, der unsicher ist, scheu und voller Zweifel.
  Sandra Kegel
   
   
   
23. Dezember 2013   Bewunderte, verklärte, mythisierte Autorin
   
    Dass sich bisher niemand an eine umfassende Biografie Ingeborg Bachmanns gewagt hat, ist nachvollziehbar: Wichtige persönliche Aufzeichnungen sind der Öffentlichkeit immer noch nicht zugänglich, etwa der Briefwechsel mit ihrem zeitweiligen Lebensgefährten Max Frisch. Andrea Stoll jedoch hatte Zugang zu einigen neuen Quellen und einen sehr guten Überblick über die Forschungslage. [...] Andrea Stolls Bild Ingeborg Bachmanns steht grundsätzlich von Anfang an fest. Schon in den reichlich backfischhaften Tagebuchblättern vom Kriegsende, von denen einige wenige überliefert sind, sieht Andrea Stoll eine eindeutig feministische, antifaschistische, unbeirrbare Persönlichkeit walten. „Nein, mit den Erwachsenen kann man nicht mehr reden“, schrieb die achtzehnjährige Bachmann, sie wollte sich trotz der kommenden Bombenangriffe in den Garten setzen und lesen. Hier liegt für die Biografin „die literarische wie biografische Urszene der Schriftstellerin“, das Zentrum von deren Vorstellung der Dichtung als „letzter Statthalterschaft des Humanen“. [...] Das Widersprüchliche an der Gestalt Bachmanns wird von Stoll eher zugunsten einer Eindeutigkeit überdeckt. Auch, welch entscheidender Einschnitt in der künstlerischen Entwicklung der Dichterin ihre Beziehung zu Paul Celan war, wird kaum thematisiert. Dagegen wird kein Zweifel an den grundsätzlichen ästhetischen Unterschieden zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch gelassen. Warum die Dichterin nach der vierjährigen Liaison mit Frisch einen derartigen Zusammenbruch erlitt, wirkt in dieser Biografie ziemlich überraschend – zu überlegen wurde Bachmann vorher geschildert.
Dennoch hat dieses Buch seine Berechtigung. Es liefert vor allem über die sechziger Jahre und die Umstände des Unfalltodes von Bachmann 1973 zum ersten Mal eine ausführlichere und differenzierte Darstellung. Die vorhandenen Materialien erscheinen jedoch zuverlässig ausgewertet, und auch die Erinnerungen aus Bachmanns familiärem Umfeld tragen zu einer Entmystifizierung des Todes der Dichterin bei. In der Affäre mit Adolf Opel, der als wichtige Bezugsperson ernst genommen wird, oder in den letzten Jahren mit Tabletten- und Alkoholsucht, werden die Haltlosigkeiten benannt. Bis auf weiteres ist dies auf jeden Fall ein Buch, das Bachmann-Interessierte zur Hand nehmen müssen.
  Helmut Böttiger
  Externer Link Die Presse: Lyrik und Liaison
   
     
20.10.2013   Lyrik und Liaison
   
    [...] Spätestens seit der Diskussion um Weigels „antibiografische“ Biografie mit dem programmatischen Untertitel „Hinterlassenschaften unter Wahrung des Briefgeheimnisses“ kristallisieren sich am „Fall“ Bachmanns konträre Zugänge der Rekonstruktion des Zusammenhangs oder der Dissoziation von Person und Werk heraus. Daher stellt es ein Wagnis dar, wenn die durch ihre Dissertation und andere Arbeiten ausgewiesene Bachmann-Forscherin Andrea Stoll in diesem heiß umkämpften Feld nun in den Ring steigt und dabei die Nachfolge Höllers antritt. Sie stützt sich bei ihrer sehr kenntnisreichen Erklärung des Werks aus dem Leben auf eine Vielzahl von zum Teil unveröffentlichten Briefen und Gesprächen mit den Bachmann-Erben und kann auf dieser Basis manche Irrtümer korrigieren.
Als Herausforderung einer reflektierenden Biografik hatte Höller „die Frage der Konstruktion von Lebensgeschichte und damit der Lesbarkeit kultur- und sozialgeschichtlicher Zusammenhänge“ erkannt. Insbesondere die Lesbarkeit scheint auch Stoll ein Anliegen zu sein, wie aus ihrer flott geschriebenen und ansprechend gestalteten Lebensbeschreibung deutlich wird. Um ihr Publikum mitzunehmen, schreibt sie etwa über die Begegnung Bachmanns mit Hans Werner Henze: „Zwei Königskinder fassten sich da ins Auge und erkannten einander. Was sich da auf Burg Berlepsch bei Göttingen ereignete, war nichts weniger als ein Coup de foudre zweier seelenverwandter Schönheitssucher.“ Muss eine Biografie solche Sätze enthalten, um in einem Publikumsverlag erscheinen zu können? Der Vorteil abgedroschener Formulierungen, die einer Illustrierten entstammen könnten, besteht darin, dass sie bewusst machen, wogegen sich die antibiografische Polemik seinerzeit gerichtet hat. [...]
Es spricht nicht gegen Bachmann, sondern gegen die herrschenden Geschlechterverhältnisse, dass der Weg „nach oben“ auch durch Betten verlaufen ist, wie ihre Liaison mit Hans Weigel zeigt. Dennoch scheint es überflüssig, etwa Max Frisch, mit dem sie eine weitere Liebesbeziehung unterhalten hat, zu einem nur „aus dem Bauch heraus“ schreibenden, alkoholseligen „Macho-Erzähler“ zu denunzieren, der „seine Sprachwahrnehmung und sein Erzählen niemals einer grundsätzlichen Reflexion unterzogen“ habe. Warum hätte Bachmann, die im Übrigen bald selbst an Abhängigkeiten litt, sich in einen solchen Kleingeist verlieben sollen? [...] Gemeinplätze gerinnen trotz oder wegen ihrer Arglosigkeit ungewollt zur Lüge. Hans Höller hatte gemutmaßt: „Vielleicht ist die Biografie auch deshalb der akademischen Literaturwissenschaft so suspekt, weil ihr Lesepublikum so weit über den Kreis der akademischen Forschung hinausreicht.“ Stoll wird vermutlich eine breitere Resonanz als die übliche Literaturwissenschaft haben, die sich an ihrem Stil aber deshalb kein Beispiel nehmen sollte.
  Norbert Christian Wolf


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© Ricarda Berg, erstellt: November 2025, letzte Änderung: 28.11.2025
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