Patricia Broser |
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Was
aber ist dann die Rolle der Kunst und die der Schriftstellerin? Die Reflexion
der Selbstpositionierung, die in dem Gedicht "Wie soll ich mich nennen?"
besonders augenfällig wird, beginnt sich nachweislich erst in dem
prophetischen Gestus der Gedichte aus Die gestundete Zeit aufzulösen
und bleibt bis zu Malina immer wieder eine der entscheidenden Fragen,
um die das Bachmannsche Werk kreist. Sehr abstrakt wagt die Autorin in
einem der letzten Interviews im Mai 1973 eine Antwort:
»Und wenn man überhaupt fragt, welche Aufgaben ein Schriftsteller
hat - das sind meist sehr rhetorische Fragen -, dann würde ich immer
sagen, die Menschen dorthin zu bringen oder mitzureißen, in die
Erfahrungen, die die Schriftsteller machen und die ihnen durch diese gefährliche
Entwicklung dieser modernen Welt weggenommen werden.« [Gespräche
und Interviews]
In dieser Erfahrungswelt kommt vor allem den Briefen an Felician eine
Sonderstellung zu, in denen die junge Österreicherin zum ersten Mal
das Verhältnis Autor-Leserschaft als Liebesverhältnis inszeniert
und dabei entscheidende Facetten der intendierten Dialogizität zwischen
Kunstwerk und Rezipient beleuchtet. In der starken Stilisierung der Kunstschaffenden
bis zur Selbstaufgabe vor einer stumm bleibenden Projektionsfläche
des umworbenen Lesers wird die Kunst als Gegenpol des Todes erkannt:
»Zwei Menschen sind in mir, einer versteht den anderen nicht. Ich
fürchte den das Leben so alles liebenden sehr. Er wird übermächtig.
Und ich weiß, daß doch für den andren die Zeit kurz werden
könnte. Ich müßte beten lernen. Ich habe keinen Gott.«
[Briefe an Felician]
Die stark religiös geprägte Diktion verschwindet in der Auseinandersetzung
mit dem Philosophen Ludwig Wittgenstein, dem Schriftsteller Robert Musil
und der Reflexion der Rolle als Schreibende in und außerhalb der
Gesellschaft zusehends. Auch das in den Jugendgedichten oftmals noch sehr
naive Wunschdenken wird von Ingeborg Bachmann zugunsten eines abstrakteren
und komplexeren Utopiekonzeptes aufgegeben. Dieser Wandel äußert
sich zunächst vor allem auf textstruktureller Ebene in der Wahl allegorischer
Personenkonstellationen und geschichtsloser Räume, wie anhand
der Erzählung "Die Fähre" gezeigt wurde. In dieser
Art geistigen Exils, von dem aus noch in Anrufung des Großen
Bären auf die "verheerte Welt" geblickt wird, findet
vor allem die lyrische Stimme einen Rückzugsort, der zum Ausgangspunkt
des kreativen Prozesses wird.
Mit dieser Strategie der Komplexität des Utopiegedankens, der mehr
und mehr ihr Schaffen bestimmt, gerecht zu werden, geht eine verstärkte
Thematisierung der Unzulänglichkeit der Sprache einher. Im chiffrierten
lyrischen Liebesdialog mit Paul Celan finden sich die beeindruckendsten
Versuche, diese Begrenzung zu überwinden. Dass dabei in Ansätzen
von beiden ein neues Sprechen erprobt wird, ist kein Zufall, denn generell
ist die Liebesutopie Bachmanns eng verbunden mit der Suche nach einer
neuen Sprache. Wie das Neue nicht durch das Alte heraus strukturiert und
gemeistert werden kann, so kann auch eine neue Sparche nicht auf der Basis
der alten entstehen. Dadurch wird deutlich, wieso es in einem Gedicht
besser gelingen kann und Ingeborg Bachmann auch zweifelsohne besser gelingt,
auf das durch die herkömmliche Sprache Unsagbare hinzudeuten. Das
Gedicht hat keine narrative Intention, sondern ist Teil eines Dialogs
zwischen Autorin und Lesenden, der sich eben nur teilweise durch Sprache
manifestiert. [1] |