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Christine Kanz Die paternalen, rationalistischen und zivilisatorischen Strukturen bilden jeweils ein geschlossenes System, das auch der Abschottung von Ängsten dient. Das 'Weibliche' hat in ihm keinen eigenen Ort; es erscheint im Todesarten-Projekt Bachmanns allerhöchstens ex negativo: als das nicht Wahrgenommene. Dieses Phänomen beschreibt das "weibliche Ich" einmal so:
Er wird [...] nie über mich sprechen, aber trotzdem nicht den Eindruck erwecken, er verschweige etwas. Malina verschweigt auch wirklich nichts, denn er hat, im besten Sinn, nichts zu sagen.
Das "Andere der Vernunft" erscheint dem rationalistischen Denken als etwas Bedrohliches, das ausgegrenzt und seinerseits in Furcht und Schrecken gehalten werden muß, damit man sich vor ihm und damit vor strukturloser Entgrenzung und Überflutung bewahren kann. Die Angst des Mannes vor der Frau ist die Angst vor dem 'Weiblichen' in ihm selbst. Luce Irigaray charakterisiert den ängstlichen Diskurs des 'Vernünftigen' folgendermaßen:
Das, was trennt, teilt, spaltet, muß vor dem anderen, dem 'Weiblichen' bewahrt werden. Sonst wüßten weder die Mathematik noch die Dialektik, woran sie sind. Sie würden sich in Unterschieden verlieren, die sich nicht in zwei auflösen, analysieren könnten, weil diese keine Beziehung zum SELBEN hätten.
Das 'Männliche' bewahrt sich vor dem 'Weiblichen', indem es ihm einen Ort in der kulturellen Ordnung verweigert und unzählige psychische wie physische Todesarten für das 'Andere der Vernunft', das Abgespaltene oder Verdrängte bereithält. Im Malina-Roman wird deutlich angesprochen, welche Orte dem 'Weiblichen' zugewiesen werden. In einem Traum findet das "weibliche Ich" in Malina einen solchen Ort. Paradoxerweise zeichnet er sich einerseits durch seine Zerstörtheit aus, andererseits aber ist er ihm in gewisser Weise vertraut. Denn das "weibliche Ich" sagt: "ich lege mich neben meinem Vater, in die Verwüstung, denn hier ist mein Platz." Daß es an seinem "Platz" bleibt, beweist gewissen Mut und wird so begründet: "wissen muß ich, woher das Böse kommt". Auch in dieser Traumszene korreliert das Angsterregende also mit dem 'Männlichen'. Im Verlauf des Traumes verschiebt es sich vom Bild des Vaters auf ein Bild fremder 'Männlichkeit': "ich erschrecke, aber anders als sonst, denn das Böse ist in einem Gesicht, das ich nicht kenne, ich krieche auf einen fremden Mann zu, dem die Erde an den Händen klebt." Auch die ausgegrenzten Orte scheinen vor dem Zugriff 'männlicher' Gewalt nicht sicher: "Wie bin ich hierhergeraten, wie in seine Macht, in wessen Macht?"
Neben der Verwüstung wird dem 'weiblichen' Geschlecht in den Traumszenen der "Friedhof" der "gestorbenen Töchter" zugewisen, wobei die Worte "WENN WIR TOTEN ERWACHEN" am Endes des Traumes wie eine Warnung vor einem zukünftigen Aufbegehren gegen die paternale Ordnung klingen.Die möglichen Orte des 'Weiblichen', die im Roman aufgezeigt werden, erweisen sich insgesamt als (kulturell ausgegrenzte) Randzonen des Unbehaustseins, des Schauders, des Todes. Der vorgegebenen Ausgrenzung leistet das "weibliche Ich" dabei selbst Folge. Indem es sich eine eigene wählt, kommt es einer von außen determinierten Todesart zuvor. Es verschwindet in der Wand - aus Einsicht, daß es in Malina überleben muß, um das Buch über "Todesarten" vollenden zu können. Die Wand erscheint in diesem Zusammenhang als ein letzter Zufluchtsort des 'Weiblichen': "verstecken könnte ich mich in der Legende einer Frau, die es nicht gegeben hat", in einer "Glücksmauer", "Freudenmauer", sinniert das "weibliche Ich". Maria Behre bezeichnet "das Hindurchgehen durch den Tod im Ablegen des Scheins und im totalen Eingestehen eines dem 'Anderen' zugehörigen Bereichs" als zentrales Muster innerhalb der Motivgeschichte von "Weiblichkeit und Tod".
Vor allem Virginia Woolfs These, daß Frauen, um kreativ sein zu können, erst den 'angel in the house', das traditionelle Bild von Weiblichkeit, in sich abtöten müßten, hebt das Ende des Romans Malina in ein anderes Licht. Scheinhaftes Leben in Ivan und wahres Sterben in Malina bilden eine Erkenntnis, angesichts derer, mit Wittgenstein gesprochen, die 'Leiter', das Konstituierende eines Systems, hier des Lebens, weggeworfen werden muß. [1]
Angst und Geschlechterdifferenzen
Ingeborg Bachmanns
"Todesarten"- Projekt in Kontexten der Gegenwartsliteratur
Rom 1962, No 1
Rom 1962, No 2
Rom 1962, No 3
Rom 1962, No 4
Rom 1962, No 5
Rom 1962, No 1
Rom 1962, No 2
Ingeborg Bachmann 1962 [2]
 
 
J.B. Metzler Verlag
Stuttgart, Weimar 1999
 
kart. - 296 Seiten.
ISBN 3-476-01674-9
39,90 €
 
 
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[1] Aus dem Kapitel III: "Angstsysteme (Zivilisation): Orte des 'Weiblichen' oder Todesarten, in: Christine Kanz: Angst und
  Geschlechterdifferenzen. Ingeborg Bachmanns "Todesarten"-Projekt in Kontexten der Gegenwartsliteratur.
  J.B. Metzler Verlag (= Ergebnisse der Frauenforschung; Bd. 52), Stuttgart, Weimar 1999, S. 14f.
  Ich danke der Autorin und dem © Metzler Verlag für die freundliche Genehmigung zur Publikation.
[2] Bildnachweis: Ingeborg Bachmann 1962 in Rom - fotografiert von ihrem Bruder Heinz. Mit freundlicher Genehmigung der
  © Erben Ingeborg Bachmann 2000.
    © Ricarda Berg, erstellt: September 1999, letzte Änderung: 12.08.2004
http://www.ingeborg-bachmann-forum.de - E-Mail: Ricarda Berg