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Leseprobe...
Eva Lindemann Nach dem Tod, dem Verschwinden des Ich spielt Malina mit einem blauen Glaswürfel. Das kann als Erinnerung an einen Traum im zweiten Kapitel gelten, in dem dem gefangenen Ich drei leuchtende Steine »von der höchsten Instanz« zufallen. Sie sind rot, blau, weiß und sie sind bedeutend. Der erste besagt: »Staunend leben«, der zweite »Schreiben im Staunen« und die Bedeutung des dritten wird die Ich-Gestalt »nach ihrer Befreiung« erfahren. Der Rückbezug gerade auf den blauen Gegenstand in der Coda unterstreicht emphatisch, welchen Stellenwert die Herrschaftsgewalt über die Schreibfähigkeit, die nun Malina in den Händen hält, auch nach dem physischen Abgang des Ich hat.
Die Interpretation der Engführung im Romanfragment DER FALL FRANZA muß unter Vorbehalt geschehen, da die Autorisierung der in der Gesamtausgabe von 1978 verbreiteten Textgestalt sich einzig auf die Textfolge von öffentlichen Lesungen aus dem Jahre 1966 berufen kann. Die Engführung im dritten Kapitel des Franza-Textes verfolgt das darstellungstechnische Ziel, Franzas Todesart am Fluchtort Ägypten, (eine Gehirnblutung nach dem Vergewaltigungsversuch durch einen weißen Exhibitionisten), textuell mit der zuvor in Wien erlittenen männlichen Gewalt in einer Wiederholung so zu verknüpfen, wie sie auch in Franzas Bewußtsein verknüpft ist.
Hier dient die Wand zweifach als Todesort: Zum einen in Gestalt der erinnerten Bibliothekswand in Wien, die die Schriften - das theoretische Wissen - über sexuelle Andersartigkeit »Exhibitionismus, Satiriasis« enthielt, die aber auch der Schauplatz der ehelichen Vergewaltigung durch ihren Mann Leo Jordan war.
»Nein. Laß mich aus dem Zimmer gehen, und er hatte sie, als sie sich lösen wollte, wieder an die Bibliothek mit den harten Kanten gestoßen und das getan, nicht um diese Franziska zu umarmen [...]«
Zum anderen ist die Wand der Handlungsort der Wiederholung und damit die Einleitung von Franzas Tod in Ägypten und zugleich die Beendigung ihres in Wien begonnenen Sterbeprozesses. Dies ist zugleich das Eingeständnis des Scheiterns ihrer gleichsam archaischen Heilserwartungen an die Wüste.
Die Wand, die alte Mauer hat - in MALINA wenigstens - einen Sprung, der die Phantasie des Ich schon lange beschäftigt. Dieser Sprung in der Wand, die Öffnung des Geschlossenen, die Hoffnung auf das Zerbrechen der geschlossenen Vorstellungen ist eine Hoffnung auf die Wahrheit des Fragmentarischen:
»Du haftest in der Welt, beschwert von Ketten,
doch treibt was wahr ist, Sprünge in die Wand.
Du wachst und siehst im Dunkeln nach dem Rechten,
dem unbekannten Ausgang zugewandt.«
So lautet die letzte Strophe des Gedichts WAS WAHR IST,
bereits 1955. [1]
Über die Grenze
Zur späten Prosa Ingeborg Bachmanns
Rom 1962, No 1
Rom 1962, No 2
Rom 1962, No 3
Rom 1962, No 4
Rom 1962, No 5
Rom 1962, No 1
Ingeborg Bachmann 1962 in Rom[2]
 
Verlag Könighausen & Neumann Würzburg 2000
 
176 Seiten.
ISBN 3-8260-1841-9
 
   
Buchbesprechungen: Forum-Link Kleine Bibliothek

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[1] Aus dem Kapitel III: "Musik": Coda, in: Eva Lindemann: Über die Grenze. Zur späten Prosa Ingeborg Bachmanns.
  Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2000, S. 30 - 32.
  Ich danke der Autorin und dem © Verlag Königshausen & Neumann für die freundliche Unterstützung und Genehmigung
  zur Publikation.
[2] Bildnachweis: Ingeborg Bachmann 1962 in Rom - fotografiert von ihrem Bruder Heinz. Mit freundlicher Genehmigung der
  © Erben Ingeborg Bachmann 2000.
    © Ricarda Berg, erstellt: September 1999, letzte Änderung: 27.02.2024
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