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Leseprobe...
Jeanne Benay (Hrsg.)   In gewissen Sinn besteht das Geheimnis des Briefes bei Bachmann in einer Bewegung, durch die er sich in sein eigenes Gegenteil verdreht. Das Briefgeheimnis ist eine Figur, die eine andere, darunterliegende abdeckt; es verweist an jene Charakteristika des Briefes, die ihn zum Bild für die Sprache werden lassen - wobei jedoch diese "Bildwerdung" nicht im Modus der Übertragung, sondern in dem einer "Umkehr in sich selbst" zu denken ist. Im Brief war von Anfang an eine Relation zur Sprache gedacht - das Verschließen -, und durch die Umkehrung - dass in der Sprache etwas verschlossen sein könnte - wird er zu ihrem Bild. Offensichtlich vollendet sich diese Drehung erst, wenn dasjenige, was die Sprache in sich aufnimmt, versendet und, den "Fährnissen der Post" aussetzt, selbst als Brief erkannt wurde. Das ist der Wille zu sprechen, den Anderen anzureden. Indem Bachmann ihn in jenen frenetischen Anrede-Gesten der nicht versandten Briefe sich manifestieren lässt, hat sie tatsächlich den Kreis geschlossen.

Diese Entfaltung und Vollendung eines Bildes ist aber ohne jede Referenz. zwar können wir zunächst den rhetorischen Vorgang (die Bildwerdung des Briefes) so auffassen, dass wir dadurch ein "Bild von Sprache" entstehen lassen, das uns über die Sprache etwas zu erkennen gibt; aber dieser informative Effekt schwindet, wenn wir uns klarmachen, dass wir doch den Brief selbst nur von der Sprache her denken konnten - es aber unterlassen haben zu untersuchen, was und wieviel von unserem Wissen über die Sprache wir in jenes Denken des Briefes investiert haben. Wir haben uns gar nicht mir der Möglichkeit konfrontiert, dass vielleicht von Anfang an der Brief nur das Resultat einer "Bildwerdung" der Sprache ist. Was an der Sprache ist es, das ihr erlaubt, sich "im Bild des Briefes" zu sehen? Und könnte nicht genau das das Geheimnis des Briefes genannt werden? Diese Frage - sie ist nur eine von vielen, die sich aufdrängen - ist aus dem beschriebenen Kreislauf heraus nicht einmal aufzuwerfen.

Von Ingeborg Bachmann jedoch wurde sie gestellt. Es handelt sich hier um den Punkt, dan dem die philosophische - im Unterschied zur literarisch-rhetorischen - Auseinandersetzung mit dem Motiv des Briefgeheimnisses in Malina erst beginnen muss, als Wahrnehmung des Philosophischen in dem Roman. Ich möchte jetzt am Ende nicht direkte Anknüpfungspunkte dafür nennen, aber vielleicht wird etwas davon sichtbar aus einer einfachen methodologischen Reflexion heraus.

Es erscheint mir wenig sinnvoll, sich dem Philosophischen in Malina auf die Weise nähern zu wollen, dass man aus dem Werk von Philosophen, die sie nachweislich gekannt und interpretiert hat (vorzüglich Heidegger und Wittgenstein), eine Literaturästhetik destilliert, von der man dann zeigt, dass Bachmann sich daran orientiert hätte (und man müsste eine solche Ästhetik auf eigene Faust rekonstruieren, weil es sie bei Bachmann nicht nur einfach nicht gibt, sondern weil sie ein derartiges Verständnis des Bezuges von Philosophie und Dichtung ausdrücklich von sich gewiesen hat); und jede andere Hyphothese darüber, wie die Philosophie in ihrer literarischen Prosa "drinstecken" könnte, auch jenseits benennbarer Einflüsse, ist ebenso sinnlos. Vor allem auch schamlos: gegenüber einem Werk, dessen eminente dichterische und analytische Anstrengung sich ganz und gar auf das Syndrom der Sprache als Versteck und als versteckte konzentriert hat. Die Philosophie liegt in diesem Text an der Oberfläche. Aber Philosophie auf einer Oberfläche zu lesen, ohne Ausweichen in die profunden Tiefen, in denen wir gerne das Wesentliche verbergen, das wir dann in den gequälten Zeremonien, aus denen das "Feiern der Sprache" in Wahrheit besteht, bereden - das fällt uns fünfzig Jahre nach dem Erscheinen von Wittgensteins Philosophischen Untersuchungen noch immer schwer. [1]
»Und wir werden frei sein, freier als je von jeder Freiheit...«
Die Autorin Ingeborg Bachmann
Edition Praesens
Wien 2005
 
143 Seiten, brosch. - 8 Farb- Abb.
ISBN 3-7069-0285-0
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
  Richard Heinrich (Wien)
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[1] Aus dem Kapitel: Briefgeheimnis. Sprechen und Sprache in Ingeborg Bachmanns "Malina" [Richard Heinrich], in:
  Jeanne Benay (HrsgIn.): "Und wir werden frei sein, freier als je von jeder Freiheit...". Die Autorin Ingeborg Bachmann.
  Edition Praesens, Verlag für Literatur- und Sprachwissenschaft, Wien 2005, S. 35f.
  Ich danke dem © Verlag Edition Praesens, Wien und dem Autor für die freundliche Genehmigung zur Publikation.
    © Ricarda Berg, erstellt: Mai 2005, letzte Änderung: 01.03.2024
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