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Leseprobe...
Iris Denneler
       "Ich sage doch, hier war nie jemand dieses Namens". So hören wir am Ende des Romans einen Teilnehmer ins Telefon sprechen, und dann - "Mein Name? Malina". Es sind fast die letzten Worte des Buches. Danach verstummt das erste und einzig fertiggestellte Werk der geplanten "Todesarten"-Trilogie Ingeborg Bachmanns. Wie alle weiteren Romane trägt es den Namen eines seiner Protagonisten bzw. einer seiner Protagonistinnen. Auch "Malina" rückt den Namen bereits durch den Titel in den Vordergrund. Doch Malina - wer ist das überhaupt? Ein Mann oder eine Frau?, wie spricht man diesen, für Nicht-ÖsterreicherInnen ungewohnten Namen überhaupt aus? (Betonung auf der ersten Silbe), wieso wird der zweite Teil des Namens verschwiegen, ja, handelt es sich überhaupt um einen Nach- oder etwa doch um einen Vornamen? Namens-Fragen über Namens-Fragen, die der Romananfang sogleich aufgreift in der Auflistung von "Ivan", "Béla", "András", "Malina", ... "Ich".
     Wie dürre Fingerzeige weisen die formal als dramatis personae eingeführten Figuren auf ihre Träger. Am Ende wird in diesem sich zugleich fortschreibenden und in seinem Entstehungsprozeß mitreflektierenden Text zumindest ein Name ausgelöscht sein - der des ausgesparten Ich, das gleichwohl das letzte Wort behält: "Es war Mord".
     Der sich bis zu diesem Punkt auf mehr als dreihundert Seiten entwickelnde Roman ist ein hochkomplexes Konstrukt aus Handlung, Textmontage, autobiographischem Substrat und poetologischen Reflexionen. Das Paradox des Buches, daß wir es hier mit einer Geschichte zu tun haben, die sich selbst enthält, da uns die Erzählerin beim Schreiben desjenigen Textes, den sie schreibt, zusehen läßt, ist eine unter vielen Komplikationen der Lektüre: unzweifelhaft ein fiktionalees Produkt, sind in diesem Roman doch so zahlreiche biographische Details hineingewoben (wovon eine der brisantesten die Anspielung auf den Namen Ich = Ingeborg ist), daß wir versucht sind, zwischen Fiktionalem und Biographischem, zwischen einer fingierten Ich-Figur und der dokumentarischen Wirklichkeitsaussage eines Tagebuch-Ich ständig hin- und herzupendeln. Dennoch, an keiner Stelle liegt hier Autobiographisches vor, allenfalls Literatur mit autobiographischen Zügen - einen Unterschied, den Ernst Jandl in Bezug auf seine Sprechoper "Aus der Fremde" als grundsätzlich für Dichtung betrachtete. In den Frankfurter Vorlesungen brachte Ingeborg Bachmann gleichermaßen ihre Verwunderung zum Ausdruck, "daß ein Autor (sofern er keine historische Erscheinung ist) uns ein Ich vorführt, ausgestattet mit seinem eigenen Namen und allen seinen Daten. Als wäre er glaubwürdig, als wäre seine Existenz ohne Erfindung für uns von Interesse, als könnte man die eigene Person, das eigene Leben, ohne Übersetzung in ein Buch tragen." Dieses Über-Setzen der Person ins Fiktionale verdeutlicht "Malina" durch einen vielfachen Genrewechsel, der immer wieder den ontologischen Status des im Text Dargestellten in Frage stellt. So finden sich in diesem Roman, graphisch abgehoben, Legenden ("Die Prinzessin von Kagran"), Traumprotokolle (vor allem das Kapitel "Der dritte Mann"), ein dramatisierter Textanfang (mit explizitem Verweis auf die klassische Tragödie), eigenartige Libretti, vor allem aber ein breites Spektrum fingierter, dialogischer Gebrauchstexte wie Telefonate, Briefe, Interviews. [1]
Von NAMEN            
   und DINGEN
Erkundungen zur Rolle des Ich
in der Literatur
Iris Denneler: Von Namen und Dingen
Verlag
Königshausen & Neumann
Würzburg 2001
 
146 Seiten.
ISBN 3-8260-1940-7
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
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[1] Aus dem Kapitel: "Ingeborg Bachmann: Mein Name? Malina." In: Iris Denneler: Von Namen und Dingen. Erkundungen zur
  Rolle des Ich in der Literatur. Verlag Königshausen & Neumann Würzburg, S. 27f.
  Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlages © Königshausen & Neumann, Würzburg.
    © Ricarda Berg, erstellt: November 2001, letzte Änderung: 02.03.2024
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