Ingvild
Folkvord
Sich ein Haus schreiben
Drei Texte aus Ingeborg Bachmanns Prosa.
|
|
Wenn in Bachmanns Lyrik,
Hörspielen und Prosa über das Haus, die Möglichkeiten des
Wohnens und über Exilerfahrungen nachgedacht wird, werden vielfach
Probleme der Fremdheit thematisiert. Das psychoanalytische Denken hat
entscheidend dazu beigetragen, Vorstellungen vom modernen Subjekt zu prägen,
als einem Subjekt, das nicht Herr im eigenen Haus ist, und in Bachmanns
Werk finden wir mehrfach Textstellen, in denen die Wahrnehmung von Fremdheit
als eine Unheimlichkeit thematisiert wird. Freud hat das Unheimliche
als jene Art des Schreckhaften, welche auf das Altbekannte, Längstvertraute
zurückgeht, reflektiert. Die Vorsilbe un, betont
er, ist aber die Marke der Verdrängung. Wie viele moderne
Schriftsteller bezieht sich auch Bachmann deutlich auf die psychoanalytische
Tradition, ganz besonders auf ihre Reflexionen über das Unbewußte
und über die Erinnerungsarbeit. Ihre Beschreibungen einer Beschädigung
des Hauses und der damit verbundenen Bewältigungsversuche seines
Bewohners, auf die in den folgenden Kapiteln eingegangen wird, vermitteln
einen Zugang zu einem literarischen Nachdenken über eine geschichtlich
bedingte Traumatisierung.
Die ausgewählten Texte aus Bachmanns Werk sind in der Zeit zwischen
der zweiten Hälfte der fünfziger und der ersten Hälfte
der siebziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts geschrieben worden, und
wenn deutschsprachige Schriftsteller in den ersten Jahrzehnten nach dem
Zweiten Weltkrieg über das Haus reflektieren, handelt es sich häufig
um Auseinandersetzungen mit dem Krieg und mit verschiedenen Erfahrungen
einer durch den Krieg hervorgebrachten Heimatlosigkeit. Wie der Literaturwissenschaftler
Hans Höller hervorhebt, sind "Haus und Heimkehr [...] nach 1945
nicht nur im Werk Bachmanns nichts Selbstverständliches mehr, sondern
Chiffren für das Unverständliche des Lebens und Schreibens nach
Krieg, Vernichtung und millionenfacher Exilierung". Während
ein Schriftsteller wie Heinrich Böll in dem Roman Haus ohne Hüter
(1954) anhand von detailreichen und konkreten Figuren- und Situationsbeschreibungen
über die Kriegserfahrung berichtet, bezieht sich die Hausmetapher
in Bachmanns Werk häufig auf eine hoch abstrakte Sprach- und Subjektreflexion,
die vor allem die schriftliche Vermittlung von Erfahrung problematisiert.
Über den Umweg über einige von Bachmanns Gedichten möchte
ich eine Problematik der Exilierung beschreiben, um die es auch in den
drei genannten Prosatexten geht.
In dem Gedicht "Exil" benennt das lyrische Ich sich selbst als
ein "Ich mit der deutschen Sprache / dieser Wolke um mich / die ich
halte als Haus / treibe durch alle Sprachen". Aus dem Verhältnis
zwischen dem Titel und den zitierten Versen geht hervor, daß das
Haus der Sprache als ein Exil betrachtet wird. Die Bedeutung des lateinischen
'exilium'; "in der Fremde weilend, verbannt", verweist auf eine
wichtige Dimension der Bachmannschen Schriftreflexion. Mit einer Klage
über die Schriftproduktion als eine Arbeit, bei der die Absonderung
von einem ersehnten lebendigen Dasein dominierend ist, wird in ihren Texten
wiederholt nach den Möglichkeiten einer Aufhebung dieser denkenden
Entfremdung gefragt: "Muß einer denken? Wird er nicht vermißt?"
- so fragt das lyrische Ich in dem Gedicht "Erklär mir, Liebe".
Das Denken findet offenbar an einem Ort statt; angedeutet wird
durch die Frage aber auch, daß von einem anderen Ort aus
derjenige "vermißt" werden könnte, der nur denkt.
Nur ausnahmsweise wird in Bachmanns Werk das Haus so direkt mit Hoffnung
und Offenheit verbunden, wie dies in dem Gedicht "Böhmen am
Meer" der Fall ist: "Sind hierorts Häuser grün, tret
ich noch in ein Haus", heißt es im Anfangsvers dieses Gedichtes.
Obwohl das Zeitadverbial "noch" darauf verweist, daß die
Zeit knapp ist, wird hier das Haus mit der grünen Farbe der Hoffnung
verbunden.
In "Jugend in einer österreichischen
Stadt" wird das Haus als Licht und ohne Fensterscheiben und Türen
beschrieben: "Es ist nie mehr Licht im Haus. Kein Glas im Fenster.
Keine Tür in der Angel". Die Verdunkelung des Hauses wird auf
eine frühe Lebensphase bezogen, die wortwörtlich mit dem Krieg
zusammenfällt. Diese Beschreibung des Hauses verweist zusammen
mit der textlichen Konstruktion eines Erinnerungsvorgangs auf eine Reflexion
über die Verfassung des erinnernden Ich. Als Kindheitserzählung
betrachtet, gehört es zu den Besonderheiten des Textes, daß
sehr begrenzt von einer sinnlichen Wahrnehmung berichtet wird. Kindheit
und Jugend werden als Lebensphasen beschrieben, in denen Vitalität
verlorengeht, und das erwachsende Ich erscheint auf diese Weise als eines,
das trotz seiner Verlusterfahrungen noch am Leben ist. "Überleben"
ist zusammen mit dem häufig herangezogenen Bachmannschen Idiom "Todesarten"
für diese Problematik eine zentrale Kategorie.
In dem Roman Malina, der zehn Jahre
nach Das dreißigste Jahr erschienen ist, hat die Titelfigur
folgende Replik: "Wenn man überlebt hat, steht das Überleben
dem Erkennen im Wege". Durch die Zerlegung des Subjekts in zwei Figuren
werden in diesem Roman verschiedene Erfahrungsmodi thematisiert, die sich
gegenseitig auszuschließen seinen. Die Spaltung des Subjekts wird
auf eine Traumatisierung zurückgeführt. Über die Erzählbarkeit
eines naiveren Zustands, eines Vorhers, wird in den beiden ersten
Texten meiner Textauswahl nachgedacht: Wer erzählt, wenn das Kind
von damals nichts aussagen kann? Als verschüttet und vergraben werden
die Dimensionen der Kindheit beschrieben, die die Sprache beleben könnten.
Der französische Philosoph Jean François Lyotard, auf dessen
Reflexionen über die Erzählbarkeit der Kindheit ich zurückkommen
werde, bezieht sich in seinem Kindheitslektüren (1995) auf
hiermit verwandte Fragestellungen, wenn er über das "Überleben"
nachdenkt: "Das Wort 'Überleben' beinhaltet, daß eine
Entität, die tot ist oder tot sein sollte, noch am Leben ist".
Im dritten Text - "Drei Wege zum See" - nimmt das eine
Haus nicht dieselbe zentrale Funktion ein, wie in den ersten beiden Texten,
auch hier wird aber über Arten des Überlebens reflektiert. Diesmal
auf eine Weise, die markiert, daß das Kriegstrauma der ersten beiden
Texte erzählend überschritten wird. Die Protagonistin Elisabeth
Matrei ist Journalistin und Photographin und vergleicht ihre eigene schreibende
Tätigkeit mit einem Essay über Tortur, der von einem anderen
geschrieben wurde. Unzufrieden mit dem eigenen Schreiben schätzt
sie den Essayisten hoch ein als jemand, der dazu fähig war zu vermitteln,
"was mit ihm geschehen war, in der Zerstörung des Geistes [...],
und auf welche Weise sich wirklich ein Mensch verändert hatte und
vernichtet weiterlebte". Die Reflexionen über die Erzählbarkeit
von Erfahrung sind mit einer Thematisierung von solchen Existenzmodi wie
"überleben", "noch am Leben sein" und
"vernichtet weiterleben" verbunden, wobei der letzte Text nicht
so stark wie die zwei anderen Texte als Auseinandersetzung mit dem Tod
der Kindheit, sondern auch als Erforschung des Weiterlebens und seiner
Möglichkeiten zu lesen ist.
|