Isabella
Rameder |
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Schon nach einer erstmaligen Lektüre des Bandes "Ich weiß
keine bessere Welt" fiel mir auf, daß die Texte eng miteinander
verbunden sind, sei es durch wiederkehrende Titel oder Textpassagen. Ich
habe zuvor schon angeführt, in welchem Zeitraum und zu welchen Bedingungen
die Gedichte entstanden sind. In diesen Jahren um 1964 hat Ingeborg Bachmann
ihren eigenen Kampf ums Überleben geführt. Ihre Kränkungen
saßen tief, ihre Krankheiten häuften sich und kehrten immer
wieder. Schmerz, Liebe, Haß und Tod ziehen sich durch alle Texte
hindurch. Joachim Hoell, der sich ebenso mit diesen Fragmenten beschäftigt
hat, ist der Ansicht, daß "diese Gedichte ihre Entstehung auf
dem Krankenbett schwerlich verleugnen können", sie rücken
eine "grundsätzliche Verstörung in den Blick". Ihre
Geschwister, die den Band herausgegeben haben, sprechen im Vorwort von
Ingeborgs "Trauer um die verlorgengegangene Poesie", von der
"unerbitterliche[n] Kritik an der Gesellschaft. Keine schönen
Methaphern werden bemüht, um die Verstörung und Auslöschung
sichtbar zu machen".
Um konkrete Beispiele anzuführen: Auf den Seiten 54 bis 58 finden
sich drei Gedichte mit dem Titel Gloriastraße. Alle drei
handeln von einem Aufenthalt in einem Krankenhaus. Es gibt Betten, Morphium,
unsinnige Besuche, Nadeln und Schmerz. Ich will die ersten beiden Verszeilen
miteinander vergleichen. Im ersten Gloriastraße schreibt
sie: »Die Gnade Morphium, aber nicht die Gnade eines Briefs, / die
Gnade Menschen, Worte, Sprüche, aber nur im Delirium«. Das
zweite beginnt folgendermaßen: »Die Gnade Morphium, aber nicht
die Wohltat eines Briefs. / Anfragen, Sprüche, gutgemeint von Fremden
und Freunden«. Die Parallele ist deutlich zu erkennen. Ich bin mir
sicher, es handelt sich hier um verschiedene Entwurfsstufen zu dem Gedicht
Gloriastraße. Wobei die Worte: »Die Gnade Morphium,
aber nicht die Gnade eines Briefs« auch in dem Gedicht Alla più
umile, alle più umana, alla più sofferente mitten im
Text vorkommen, sowie in Das Narrenwort, wo jedoch das Wort Brief umgeändert
wurde in »die Gnade eines Worts«.
Ähnliche Wortkonstellationen und Themen tauchen jedoch auch bei Texten
auf, die unterschiedliche Titel und Inhalte haben, also unabhängig
voneinander entstanden sind. So stellt Bachmann im Gedicht Eintritt
in die Partei den Vergleich zu einem Kaninchen und einer Ratte, die
in einem Labor niedergespritzt werden und sich nicht wehren können,
her. Genau dieses Motiv findet sich im Gedicht Ich weiß keine
bessere Welt wieder: »[...] Das schwache Kaninchen, / die Ratte,
und die da fallen, sie alle«. Auch in Abschied stößt
der Leser auf das »Kaninchen, an dem/ ein Versuch tödlich ausgeht,
das zuckend und vergiftet keiner Herrgötter / mehr rufen kann [...]«.
Das lyrische Ich vergleicht sich in diesen Texten mit diesen gepeinigten
Tieren. Sie sind Genossen, denn sie haben ebenso ein Martyrium durchgemacht.
Weitere Indizien für mögliche Verknüpfungen sind Ausschnitte
aus Musikstücken, besonders aus Richard Wagners Oper »Tristan
und Isolde«, sowie Zitate aus Gedichten, der von Ingeborg Bachmann
verehrten italienischen Dichterin Gaspara Stampa. Diese Texte zeichnen
sich besonders durch die italienischen Titel aus. Dreimal hat Bachmann
ihr Lieblingszitat vivere ardendo e non sentire il male unter den
Titel eines Gedichts geschrieben, um gleich auf Gaspara Stampa zu verweisen.
Sie zitiert die Dichterin auch in den Versen. »Daß keiner
meiner Schmerzen ihn bewegt« - dieser Satz gleitet durch mehrere
Textpassagen. Im Gedicht Un'altra notte ancora senza vederlo stellt
er die einleitenden Worte dar. In Das Strafgesetzbuch Gaspara Stampa
wird er ein immer wiederkehrendes Leitmotiv. »Daß / nicht
und niemals, nie es ihn bewegt,/ wie kann das sein,«.
Die Passagen aus »Tristan und Isolde« finden sich noch häufiger
in den Gedichten wieder. Beschränken sich die, wie ich nun frei formuliere,
»Gaspara-Stampa-Gedichte« auf vier, sind es bereits elf Gedichte,
in denen Zitate aus Wagners Oper aufscheinen. In zwei Gedichten, eines
mit dem Titel Enigma, das andere ohne Titel, ist die erste Verszeile
ein Zitat der gegenseitigen Liebesschwüre Tristans und Isoldes. »So
stürben wir, um ungetrennt zu sein«. Marke, der nach Tristans
Tod den Schmerzensschrei: »Tot denn alles! Alles tot!« losläßt,
wird von Bachmann in drei Gedichten jeweils zu Beginn zitiert. Sie schreibt:
»Tot ist alles. Alles tot«. Isoldes Liebesklage, als sie den
toten, geliebten Tristan sieht (»Seht ihrs Freunde, seht ihrs nicht?«),
wird von der Dichterin in sieben Gedichte integriert. Der Warnruf Brangänes,
der von Tristan und Isolde bei ihrem Liebesdialog mehrfach unterbricht,
wird von Bachmann auch als Titel für ein Gedicht hergenommen (Habet
acht). Das Zitat aus »Tristan und Isolde« lautet: »Habet
acht! Habet acht! Bald entweicht die Nacht!« »Mild und leise«
sind die Worte, mit denen Isoldes letzter großer Monolog an der
Leiche Tristans einsetzt. Ingeborg Bachmann hat diese Worte dreimal als
Titel für ihre Gedichte gewählt. In einem anderen Gedicht (Habet
acht) wird dieser Liebesmonolog in den Text eingebaut. [1]
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»Mild und leise, [...] sich |
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keiner, mild und leise |
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geht es an, sehr Ihr Freunde, |
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seht ihr nicht. Soviel Zeit |
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ist schon vergangen, und die |
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Zeit vergeht doch nicht«. [2] |
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