Joachim
Eberhardt »Es gibt für mich
keine Zitate« |
In
einer Notiz, die Göttsche auf frühestens Spätherbst 1966
datiert und damit in den Umkreis der Arbeit am 'Buch Franza' rückt,
schreibt Bachmann zu einem einzelnen Satz:
»Wunsch, das zu benutzen, damit es nicht liegen bleibt. Immer eine
Fu<r>cht, seit jeher, dass manche Sätze verschwinden, die mir
großartig vorkommen, also Plagiat aus seltsamen Gründen. Zugleich
Uebereinstimmung der Entdeckung mit einer, die ich selbst wahrscheinlich
schon halbformuliert in mir liegen habe ...«
An dieser Notiz sind drei Aussagen bemerkenswert. Erstens beabsichtigt
ihre 'Benutzung' eines Satzes eine Art Rettung vor dem 'Verschwinden'.
Zweitens drückt der 'großartige' Satz einen Gedanken aus, welcher
"wahrscheinlich schon halbformuliert" in ihr liegt und damit
bereits vor dem Fund da ist. Drittens erstaunt das Wort "Plagiat".
[...]
Der Verweis auf das "wahrscheinlich schon halbformuliert" selbst
Gedachte in der oben zitierten Notiz entspricht Bachmanns Ablehnung der
Rede vom 'Einfluß'. Der "Zusammenhang" zwischen dem, was
sie schreibe, und ihrem Philosophiestudium "besteh[e] [...] nur insofern,
als einige wenige Dinge, die sowieso schon in mir waren, dort auf eine
ganz andere Weise gesagt worden sind". Dies ist wohl so am besten
zu verstehen, daß das Ausgesprochene in den gemeinten philosophischen
Schriften, in den Sätzen, von denen die Notiz handelt, ihrer Erfahrung
und ihrem Denken entspricht. Impliziert ist jedoch auch, daß Bachmann
den treffenden Ausdruck noch nicht gefunden hat. Was "wahrscheinlich
schon halbformuliert" ist, ist eben noch nicht ausformuliert. Was
im Gelesenen "auf eine ganz andere Weise gesagt" ist, ist eben
auf eine unerhörte Weise gesagt. In diesem Sinne deutet die Notiz
eine 'Aneignung' des gefundenen Satzes an. Er drückt den Gedanken
aus, welchen die Autorin zwar schon gedacht haben will, dessen angemessene
Formulierung sie aber erst im Gelesenen findet. So auch läßt
sich die prominente Äußerung zum Zitat verstehen, welche dieser
Untersuchung den Titel gegeben hat. Angesprochen auf ein Rimbaud-Zitat
in 'Malina' sagt Bachmann:
»Das ist für mich kein Zitat. Es gibt für mich keine Zitate,
sondern die wenigen Stellen in der Literatur, die mich immer aufgeregt
haben, die sind für mich das Leben. Und es sind keine Sätze,
die ich zitiere, weil sie mir so sehr gefallen haben, weil sie schön
sind oder weil sie bedeutend sind, sondern weil sie mich wirklich erregt
haben. Eben wie Leben.« Sie ergänzt im weiteren Verlauf des
Gesprächs, als der Interviewer auf ein Flaubert-Zitat zu sprechen
kommt: »Wie ich schon gesagt habe, ich zitiere nicht [...], sondern
es ist ein Satz, den ich gern selbst geschrieben hätte. Und ich verwende
nur Sätze, die ich gern selbst geschrieben hätte.«
Zu unterscheiden hat man offenkundig zwischen einem konventionellen Begriff
von 'Zitat' und dem, was Bachmann hier meint. Im konventionellen Sinne
ist ein 'Zitat' eine mehr oder weniger "wörtlich angeführte
Stelle aus einem Buch". Die 'Verwendung' eines Satzes, den man "gern
selbst geschrieben hätte", aber nicht hat, ist in diesem Sinne
ein 'Zitat'. Der Unterschied des Gemeinten zum konventionellen Zitat besteht
für Bachmann darin, daß der fragliche Satz nicht 'verwendet'
wird, weil er "schön oder [...] bedeutend" ist, sondern
weil er 'erregt'. Anders ausgedrückt liegt der Grund für das
'Verwenden' nicht in den Eigenschaften des Satzes, als welche man 'Schönheit'
und 'Bedeutung' verstehen kann, sondern in seiner Wirkung auf die Leserin.
Verbinden wir dies mit dem oben Gesagten, dann ist der Satz deshalb 'erregend',
weil er gleichsam einen Nerv Bachmanns trifft. Er formuliert etwas, das
der Erfahrung der Autorin entspricht, eine "Entdeckung, die [...]
wahrscheinlich schon halbformuliert" in ihr ist. Die 'Wahrheit' des
Satzes ist deshalb in der Erfahrung und im Denken der Autorin verbürgt.
Es handelt sich dementsprechend nicht um ein 'triumphierendes Zitat',
ein Zitat um der Argumentation willen, das die Wahrheit des 'Herbeigerufenen'
voraussetzt, um sich auf seine Autorität stützen zu können.
Mit der Rede von der 'Erregung' durch fremde Texte übernimmt Bachmann
die Verantwortung für das Herbeigerufene. Man könnte dies als
Aneignung des Herbeigerufenen auffassen. Offenkundig versteht Bachmann
ihr Zitieren selbst so, weil sie es in der Notiz "Plagiat" nennt.
Ein konventionelles Zitat kann kein Plagiat - das ist: "Diebstahl
geistigen Eigentums" - sein, da es seine Autorität aus der Bekanntheit
seiner Quelle bezieht. Bachmanns in der Bezeichnung "Plagiat"
liegende Selbstanklage ist weniger eindeutig zu beurteilen. Die Pointe
ihrer Rede vom Zitat ist die Unterscheidung von dem geistigen Gehalt (Gedanke,
Erfahrung), welcher auszudrücken ist, und der Formulierung, welche
ihn ausdrückt. Was den geistigen Gehalt angeht, ist das 'Herbeigerufene',
glaubt man Bachmann, kein 'Diebstahl geistigen Eigentums'. Die Rede vom
'Plagiat' gilt der Formulierung. Wenn diese als 'Diebstahl' bezeichnet
wird, dann relativiert das implizit die 'Aneignung'. Die Notiz vom "Plagiat"
weist daher darauf, daß Bachmann sich der fremden Herkunft des Materials
umso bewußter ist, je stärker sie seine 'Aneignung' betont.
Indem sie den Plagiatcharakter dem 'Herbeigerufenen' in einem Atemzug
zu- und abspricht, zeigt sie, daß man sich nur aneignen kann, was
man nicht schon besitzt.
Das wäre eine schöne Schlußbemerkung für dieses Kapitel.
Man muß aber, wie für Bachmanns Rede von der 'Rettung', feststellen,
daß die Zitatkonzeption der 'Aneignung' sich aus demselben methodischen
Grund nicht an ihren Texten zeigen lassen wird. Denn die Bemühung
der Interpretation von Intertextualität besteht stets darin, den
Prätext zum Posttext ins Verhältnis zu setzen. Sie beruht auf
der unhintergehbaren Voraussetzung, daß die Funktion einer intertextuellen
Referenz nicht nur semantisch, sondern auch symbolisch ist. Sie geht daher
aus von den nachweisbaren Eigenschaften z. B. eines Zitats - und nicht
von seiner hypothetischen Wirkung auf die Autorin. Als Königsweg
zum Verständnis der Intertextualität in ihrem Werk ist Bachmanns
Konzeption für den Interpreten ungangbar.
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