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Katja Schmidt-Wistoff | Ingeborg
Bachmanns Libretto ist in vielen Nuancen, ausgesprochenen oder auch nur
unterschwelligen Andeutungen, Anklängen, Momentaufnahmen von möglichen
Beziehungen verstehbar, interpretierbar, deutbar. Es bietet eine große
Vielfalt des Ausdrucks bei äußerst klarem Bau und eingängiger
Strukturierung (...). Hier spiegeln sich ihre Auffassungen zum Umgang mit
der Sprache, zu Komposition und Konstruktion, zum Verhältnis von Zitat
und Erinnerung, zur "Vervielfältigung des Sinns" und zum
Ort des "höchsten Ausdrucks", ohne daß der eigentliche
Zweck der dichterischen Arbeit, nämlich ihre Bestimmung für die
Komposition einer komischen Oper, vernachlässigt würde. Ingeborg Bachmann spürt den Opernhaftigkeiten des Hauffschen Märchens nach, sie greift diese auf und macht sie zum Fundament für eine der musikalischen Struktur verpflichtete Konzeption ihres Librettos. Sie verwendet äußerste Sorgfalt auf einen stimmigen, symmetrischen Bau desselben, in welchem jeder Satz, jede Handlung eingebettet ist in ein vielfältiges Beziehungsgeflecht, gemäß ihres Dichtungsideals einer gleichsam kompositorischen Konstruktion des dichterischen Werkes. In seiner klaren Struktur, in der Durchsichtigkeit der sprachlichen Darstellung, in der unmittelbaren Gegenwärtigkeit und einfachen Kontrastierung werden Handlung und Sprache empfänglich für die musikalische Durchdringung, die Musik erhält Zeit und Raum für ihre Ausdeutung des Geschehens, für musikalische Komplexität. Dabei bleibt die sprachliche Gestaltung des Librettos ausgesprochen differenziert und beziehungsreich; es ist als eigenständiges, die gesellschaftliche Realität subtil entlarvendes Drama interpretierbar, in welchem sich in der Sprache selbst, im Umgang der dargestellten Figuren mit der Sprache, die Sprach- und Gesellschaftskritik Bachmanns entfaltet. Die Demontage der schlechten, phrasenhaften Sprache, ihr "Zerschreiben", wie Bachmann es forderte, wird dabei mit poetischen Mitteln unterschwellig betrieben, indem diese Sprache sich in beständigem Widerspruch zu sich selbst, zu ihrem Meinen, darstellt und sich in inhaltsleerem Kreisen in ihrer Nichtigkeit entlarvt. Das Pikante daran ist, daß gerade eine solcherweise kritisierte verstehbare, einfache, schlagwortartige Sprache den Bedürfnissen der Musik besonders zugänglich ist. So macht sich Bachmann eine Grundeigenschaft der Oper, nämlich ihre Forderung von "parole szeniche", für ihre Sprach- und Gesellschaftskritik zunutze. Gleichzeitig scheint die sprachliche Darstellung selbst bereits von Musik durchdrungen: Die Selbstgefälligkeit der Herren, die Hysterie der Frauen, die Unbedarftheit der Kinder und ihre "Formung" durch die Erwachsenen, die tiefe Verletzlichkeit und individuelle Seelenbedrängnis der Liebenden, die karikierende Darstellung des Phrasen plappernden Affen und die sich verweigernde Stummheit Sir Edgars - all dies ist in seiner gestischen Unmittelbarkeit und sprach-kompositorischen Struktur dazu prädestiniert, den Weg, den die Musik nehmen wird, vorauszufühlen und fordert das Sich-Einlassen von Musik und die Entlarvung der Sprache auch mit den Mitteln der Musik geradezu heraus. Damit ist die kompositorische Konstruktion auf der sprachlichen Ebene des Librettos zugleich strukturelles Fundament für die Vertikale der musikalischen Komposition sowie Wegweiser für deren horizontalen Spannungsverlauf. Die Art und Weise, wie nun Henze die Angebote und Vorgaben des Librettos nutzt und zum Anlaß nimmt für seine Komposition, wird im folgenden Kapitel analysiert. Erst hier können wir Aufschluß erhalten über die Wechselwirkung von Musik und Dichtung, über die Möglichkeiten von Musik, mit der Sprache zu kommunizieren, sie zu durchleuchten und zu interpretieren, auf sie zu wirken, sie zu erhellen, ihr zu widersprechen und etwas hinzuzufügen, das über die Sprache hinausgeht und mit sprachlichen Mitteln nicht gesagt werden kann. Dabei interessieren der musikalische Aufbau, die Anlehnung an die traditionelle Gattung "Komische Oper" und die Momente der Abweichung, in welchen der Abstand zur Tradition sich so scharf bemerkbar macht, genauso wie die detaillierte Musikanalyse, die konkrete Erkenntnisse über das Wechselspiel von Musik und Sprache verspricht, die Sprachlichkeit von Musik und ihre Möglichkeiten des Ausdrucks sowie die surrealistische, parodierende Funktion des Zitats. [1] |
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Dichtung und Musik bei Ingeborg Bachmann und Hans Werner Henze |
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Der "Augenblick
der Wahrheit" am Beispiel ihres Opernschaffens |
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iudicium Verlag | ||||
München 2001 | ||||
314 Seiten, kartoniert. | ||||
ISBN 3-89129-657-6 | ||||
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[1] | Aus dem Kapitel: Das Libretto Ingeborg Bachmanns "Der junge Lord": Resümee, in: Katja Schmidt-Wistoff: | |
Dichtung und Musik bei Ingeborg Bachmann und Hans Werner Henze. Der "Augenblick der Wahrheit" am Beispiel | ||
ihres Opernschaffens, iudicium Verlag, München 2001, S. 294f. | ||
Publikation mit freundlicher Genehmigung der Autorin und des © iudicium Verlages, München. | ||
© Ricarda Berg, erstellt:
Juni 2002, letzte Änderung: 02.03.2024 http://www.ingeborg-bachmann-forum.de - E-Mail: Ricarda Berg |
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