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"Wenn einer in das dreißigste
Jahr geht...", mit diesen Worten beginnt die umfangreichste der sieben
Prosaarbeiten von Ingeborg Bachmann, die in dem Erzählungsband "Das
dreißigste Jahr" 1961 erschienen ist:
Das Erreichen des 30. Lebensjahrzehnts markiert in diesem Text, veranschaulicht
am Beispiel eines Mannes, das endgültige Ende der Jugend und den
Beginn dessen, was gemeinhin als Berufsleben umschrieben wird und dem
Dreißigjährigen als Falle erscheint. Noch versucht er, jede
Entscheidung zu vermeiden, er verbleibt in einem 'Schwebezustand':
"(...) bisher hat er einfach von einem Tag zum anderen gelebt,
hat jeden Tag etwas versucht und ist ohne Arg gewesen. Er hat so viele
Möglichkeiten für sich gesehen und er hat, zum Beispiel, gedacht,
dass er alles mögliche werden könne: Ein großer Mann,
ein Leuchtfeuer, ein philosophischer Geist.
Oder ein tätiger, tüchtiger Mann; er sah sich beim Brückenbau,
beim Straßenbau, im Drillich, sah sich verschwitzt herumgehen im
Gelände, das Land vermessen, aus einer Blechbüchse eine dicke
Suppe löffeln, einen Schnaps trinken mit den Arbeitern, schweigend.
Er verstand sich nicht auf viele Worte.
Oder ein Revolutionär, der den Brand an den vermorschten Holzboden
der Gesellschaft legte; er sah sich feurig und beredt, zu jedem Wagnis
aufgelegt. Er begeisterte, er war im Gefängnis, er litt, scheiterte
und errang den ersten Sieg. Oder ein Müßiggänger aus Weisheit
- jeden Genuss suchend und nichts als Genuss, in der Musik, in Büchern,
in alten Handschriften, in fernen Ländern, an Säulen gelehnt.
Er hatte ja nur dieses eine Leben zu leben, dieses eine Ich zu verspielen,
begierig nach Glück, nach Schönheit, geschaffen für Glück
und süchtig nach jedem Glanz!
Mein Vorhaben: Ankommen!"
Dieser Wunsch aus der Titelerzählung "Das dreißigste Jahr"
steht auch hinter den zerfahrenen Reisebewegungen Ingeborg Bachmanns dieser
Jahre. Ruhelos wie der Dreißigjährige der Erzählung reist
sie "von Wien nach Rom, zurück nach Wien, wieder nach Rom und
schließlich abermals zurück nach Wien, kann an keinem Ort,
zu dem sie zurückkehrt, wirklich ankommen."
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Nach Wien, das
für beide erst "unerreichbar" schien, flohen zwei junge,
fast unbekannte Dichter und begegneten sich dort von Dezember 1947 bis zum
Juni 1948, ein halbes Jahr lang. Kennengelernt haben sollen sie sich in
einer höchst prosaischen Behörde, dem internationalen Arbeitsamt.
Paul Celan hatte bereits seinen ersten Gedichtband "Sand aus den Urnen"
geschrieben; der zweite "Mohn und Gedächtnis" folgte bald.
Über die Hälfte der Verse sind Ingeborg Bachmann gewidmet. Die
Bachmann antwortet auf viele davon in Gedichten und Prosa, etwa in "Malina",
ihrem einzigen Roman und in der Erzählung "Drei Wege zum See".
"Dunkles zu sagen", ihr letztes Gedicht aus dem Zyklus "Ausfahrt",
ist auch ein Abschiedsgeschenk an Celan. Ingeborg Bachmann nimmt das "Du"
in Paul Celans Gedichten an und überführt es in ein literarisches
Zwiegespräch am "Ort der Dichtung", Zug um Zug schreibt sie
ihre Geschichte mit Celan in Literatur um. |