Julia Hinterberger |
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»Meine
Entscheidung, das Hörspiel von Ingeborg Bachmann als Textvorlage
zu verwenden, bedeutet für mich die Herausforderung, ein Musiktheaterwerk
zu schreiben, das den Ausgangspunkt negiert, um zu einem anderen 'Hörspiel'
zu gelangen. Es ist der umgekehrte Weg zum Hörspiel, der hier auskomponiert
wird.« [ Jörn Peter Hiekel
[2] ]
Konvergenzen bzw. von der Komponistin bewusst initiierte Divergenzen zu
Bachmanns Hörspiel Der gute Gott von Manhanttan prägen
das fern einer Literaturoper im herkömmlichen "diffusen, pejorativ
belegten" Sinn angesiedelte Musiktheaterwerk und reflektieren Adriana
Hölszkys kreativ-unkonventionellen Umgang mit dem Prätext.
Elektroakustische Tonspuren aufgrund des Uraufführungsortes aussparend,
erweitert Adriana Hölszky nicht nur das klassische Orchester um atypische
Instrumente wie Alphorn, Akkordeon, Mundharmonika, Celester, Zimbal und
Gitarre, sie konfrontiert darüber hinaus das Publikum mit gewöhnungsbedürftigen,
die traditionelle Tonerzeugung gleichermaßen wie das "enge
Repertoire an distinkten Tönen" nahezu in den Hintergrund drängenden,
geräuschhaften Klangereignissen. Hölszky trennt bezüglich
der Artikulationsform nicht dezidiert zwischen den Vokalistinnen und Vokalisten
auf der Bühne und den Instrumentalistinnen und Instrumentalisten
im Orchestergraben bzw. auf den von ihr vorgesehenen Positionen, sondern
bezieht den gesamten Klangkörper in ihr interaktives Musiktheaterkonzept
ein. Wiederholt werden dabei die Instrumente nicht als Werkzeuge im herkömmlichen
Sinn eingesetzt, sondern avancieren zu einer die Formen vokaler und instrumentaler
Musik verbindenden Ebene. So findet sich in den mehrseitigen Legenden
der Musikerinnen und Musiker u. a. die Aufforderung, in ihr Instrument
zu singen bzw. mit der Stimme zu agieren, wobei zwischen einer Vielzahl
an Möglichkeiten, für die Hölszky eine eigene Notationsform
entwickelt, differenziert wird.
Darüber hinaus führt das Orchester auch Mund-, Hand und Fußaktionen
aus, die in ihrer Ausgestaltung Parallelen zu den Klanggesten des Chors
aufweisen.
Der auf den ersten Blick diffus scheinenden Partitur liegt eine komplexe,
von Symmetrie dominierte Struktur zugrunde, innnerhalb derer das Spiel
der Eichhörnchen gleichermaßen zur Zentralszene und zur Achse
des Musiktheaters wird. Hölszky reagiert auf das Ordnungsprinzip
des guten Gottes mit einem systematisch konzipierten Werk, dessen einzelne
Schichten jedoch - in Relation zueinander gesetzt - Unordnung hervorrufen,
innere Explosionen auslösen und die Unvereinbarkeit zweier Welten
und Prinzipien suggerieren. Sie intensiviert musikalisch den bereits dem
bachmannschen Text eingeschriebenen Kontrast zwischen sozialem Normverhalten
und Individualität, das Aufeinanderprallen zweier Ordnungen, deren
Exisitenz der gute Gott, auf die "Regulierung der Subjektivität"
konzentriert, im Hörspiel negiert.
[...]
Charakteristikum des Kompositionsprinzips Hölszkys ist, dass die
unabhängig voneinander existierenden, in ihrer akustischen Ausgestaltung
einzeln wahrnehmbaren Klangschichten ihr eigenes Drama, ihre eigene Zeit
und Dynamik beschreibenen, "es ist so, als hötte man mehrere
Stücke mit mehreren Schicksalen". Aus der Verschalteslun dieser
individuellen musikalischen Räume sowie der konstruktiven und destruktiven
Interaktion zwischen den Schichten ergeben sich wiederum Momente der Irritation.
Die Komposition erzeugt micht nur durch Komponenten wie die Orchesterdisposition,
die Organisation verschiedener Klangzentren oder durch den wiederholten
Einsatz von Wanderklängen in Chor und Orchester deine Verräumlichung
des Klangs, sie differenziert zwudem zwischen verschiedenen Räumen,
die jeweisl eine eigene Dramaturgie, ein eigenes Klangkonzept aufweisen,
woebei ein bestimmter Klangraum, der über das gesamte Stück
verteilt immer wieder auftritt, für die Liebenden und die Rezeption
des Werkes eine bedeutungsvolle Position einnimmt. Irisierendem, von dem
Ensemble Vibarfon/Celesta/Akkordeon/Cembalao/ Zimbal/ Marimbafon realisierte,
Schwerelosigkeit suggerierende Klänge fungieren als Pendant zu den
hektisch-pulsierenden Schichten des Chors und weiterer Instrumentengruppen
und imaginieren die Existenz einer transzendenten Realität, eines
anderen Raumes, den Hölszky wie folgt definiert:
»Dieser Raum kommt als Klangraum immer
wieder über das Stück verteilt vor. Wie Fenster, durch die man
in diesen Raum schauen kann. Damit man nicht denken kann, dieser Raum,
in dem wir sind, wäre schon alles. Man kann durch die Klangfenster
aus verschiedenen Perspektiven in diesen anderen Raum blicken. Damit man
denken kann, es gibt diese andere Wirklichkeit.«
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